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Kurland 1797

Stände und Nationalitäten

Gouvernement Kurland : Wappen

Wappen
des Gouvernements Kurland

Karte von Kurland > dort

Die folgenden Tabellen zur Sozialstruktur der Bevölkerung in Kurland beruhen auf den  Seelenlisten, die zur  Volkszählung auf Anordnung der Regierung mit  Stichtag 13. Sept. 1797 erstellt wurden. Deren im Herder-Institut, Marburg, archivierten Kopien sind durch den deutschbaltischen Genealogen Arthur Hoheisel ausgewertet und von ihm als Quelle für seine Arbeiten zur Sozialgeschichte Kurlands verwendet worden. (1)

Die Bedeutung dieser Volkszählung liegt darin, dass durch sie bereits zwei Jahre nach dem 1795 erfolgten Anschluss des ehemaligen Herzogtums Kurland an Russland die Einwohner Kurlands, und zwar gegliedert nach Ständen und Nationalitäten, erfasst wurden. Somit wird es erstmals möglich, Aussagen zur Bevölkerung Kurlands gegen Ende des 18. Jhs. einigermaßen sicher statistisch zu belegen. 

Die Gesamtergebnisse zeigen, wie sehr Kurland 1797 ein Agrarland war, denn von den insgesamt 416.962 Einwohnern lebten 94,16 % auf dem Lande, aber nur 5,84% in den 10 Städten sowie 6 Flecken Kurlands.(2)  Hierbei gliederte sich die Bevölkerung nach Ständen und Nationalitäten wie folgt:

Die Bevölkerung im Gouvernement Kurland 1797

auf dem Lande

                  in den Städten und Flecken

Stand bzw. Nationalität

Einwohner

Zahl

in %

Adliger Stand

1.780

0,4

Gelehrter Stand

1.008

0,3

Beamte

560

0,1

Schlachtizen

1.219

0,3

Freie deutsche Leute

17.109

4,4

Freie Letten

5.845

1,5

Russen

5.132

1,3

Freie Polen und Litauer

15.156

3,9

Juden

6.455

1,6

Seßhafte Zigeuner

94

0,0

Publike Erbleute

131.851

33,6

Private Erbleute

206.408

52,6

Insgesamt

392.617

100,0

Zu den Anmerkungen s. unten.erkun

Stand bzw. Nationalität

Einwohner

Zahl

in %

Adliger Stand

587

2,4

Gelehrter Stand

641

2,6

Beamte

829

3,4

Kaufmannsstand deutscher Nation

2.359

9,7

Kaufmannsstand russischer Nation

122

0,5

Gewerke deutscher Nation

5.482

22,5

Gewerke lettischer Nation

499

2,0

Freie deutsche Leute

4.625

19,0

Freie Letten

2.865

11,8

Russen

253

1,0

Freie Polen und Litauer

2.427

10,0

Juden

2.377

9,8

Erbleute

1.279

5,3

Insgesamt

24.345

100,0

Besonders aufschlussreich in den obigen Tabellen ist die Zahl der “Erbleute”, worunter die erbuntertänigen Bauern zu verstehen sind. Während die “publiken Erbleute” auf den der Krone, also dem Staat, gehörigen Gütern lebten, wohnten die “privaten Erbleute” auf den fast ausschließlich dem Adel gehörenden Privatgütern. Hinzu kommen noch 5.060 “Entlaufene”, die in den obigen Tabellen zwar nicht enthalten, aber in den Listen erfasst sind. Somit ist davon auszugehen, dass 1797  in Kurland 81,7 % (auf dem Lande sogar 86,3 %!) der Bevölkerung unfrei waren, was daran lag, dass fast alle lettischen Bauern in Erbuntertänigkeit lebten.

 Die Sozialstruktur der Bevölkerung in den kurländischen Städten und Flecken unterschied sich sehr wesentlich von der auf dem Lande. So betrug zum Beispiel der Anteil der Personen des Kaufmannsstandes und der Gewerker “deutscher Nation” sowie der “freien deutschen Leute” an der Gesamtbevölkerung der Städte und Flecken Kurlands 51,2 %. Zählt man noch die Adligen, Gelehrten und Beamten, die zum weitaus größten Teil deutscher Herkunft waren, hinzu, so ergibt sich, dass 1797 in den Städten Kurlands weit mehr als die Hälfte der dortigen Bevölkerung “deutscher Nation” waren.

Jedoch auch im Vergleich der kurländischen Städte zeigen sich erhebliche Unterschiede.  Das wird besonders deutlich bei den mit Abstand zwei größten Städten Kurlands, nämlich  Mitau und Libau, in denen 60,7 % der städtischen Bevölkerung Kurlands lebten. Hierzu sei auf folgende Tabelle verwiesen:

Stand bzw. Nationalität

Einwohner

Zahl

in %

Mitau

Libau

Mitau

Libau

Adliger Stand

300

21

2,9

0,5

Gelehrter Stand

309

76

3,0

1,7

Beamte

279

208

2,7

4,6

Kaufmannsstand deutscher Nation

675

870

6,6

19,3

Kaufmannstand russischer Nation

82

27

0,8

0,6

Gewerke deutscher Nation

1.856

925

18,1

20,5

Gewerke lettischer Nation

175

---

1,7

0,0

Freie deutsche Leute

1.749

1.434

17,0

31,7

Freie Letten

1.698

283

16,5

6,3

Russen

173

19

1,7

0,4

Freie Polen und Litauer

1.237

219

12,1

4,8

Juden

1.303

38

12,7

0,8

Erbleute

426

396

4,2

8,8

Insgesamt

10.262

4.516

100,0

100,0

Wie in der obiger Tabelle ersichtlich ist, unterschieden sich die beiden kurländischen Städte Mitau und Libau in Größe und Zusammensetzung ihrer Bevölkerung wesentlich voneinander. Das ist wohl auch dadurch zu erklären, dass diese zwei Städte jeweils unterschiedliche Funktionen hatten: Mitau war die Gouvernementshauptstadt Kurlands und damit auch Sitz der Landesinstitutionen, in denen der Adel die wichtigsten Ämter inne  hatte.

Hingegen war Libau eine See- und Handelsstadt mit einer selbstbewussten privilegierten Kaufmannschaft. In Libau herrschte im Rahmen des Stadtprivilegs und anderer alter Rechte weitgehend die Große (Kaufmanns-) Gilde.(3) Das kam auch dadurch zum Ausdruck, dass dort nur Stadtälteste der Kaufmannsgilde  Ratsmitglieder werden konnten. Dementsprechend hatten die Libauer Kaufleute zu jener Zeit ein ausgeprägtes Standesbewusstsein, wobei sie sich deutlich von dem im Land herrschenden Adel abzugrenzen suchten. So schrieb aus eigener Anschauung ein anonymer Verfasser über die Verhältnisse in Libau um 1820:

“Wie in keiner Stadt Kurlands gibt es hier  einen tüchtigen Bürgerstand, der sich seines Wertes und seiner Kraft wohl bewusst war. Deswegen aber mied der Kurische Adel die Stadt und wählte sie nicht gern zum Aufenthalt. Wenn die Kurischen Städte treffend die Domestiken- Stuben und Absteigequartiere des Adels genannt worden sind, so galt das wenigstens damals nicht für Libau. Denn der hier herrschende selbständige Geist der reichen, unabhängigen Kaufherren und des biedern derben Gewerksmanns beleidigten seinen Stolz.”(4)

> Deutschbaltische Kaufleute in Kurland  (Namensverzeichnis A-Z , z. T. mit Kurzbiografien)

H.B.

Anmerkungen

(1) Die Kurländischen Seelenrevisionslisten 1797-1834 (1858). Bearb. von Arthur Hoheisel und Peter Wörster.
Marburg 1977. Sie waren die Grundlage für die Arbeit von Arthur Hoheisel : Die Bevölkerung Kurlands im Jahre
1797. In: Zeitschrift für Ostforschung, 31. Jg. (1982), S. 551 ff.  Auf den dort beigefügten Tabellen I-III beruhen
die Zahlenangaben in den obigen Tabellen. Zu den  in der Spalte “Stand bzw. Nationalität” der obigen Tabellen
genannten Begriffe sei auf die Erläuterungen von Hoheisel / Wörster, Die Kurländischen Seelenlisten, a. a. O.,
S. 9 ff. verwiesen.

(2) Städte und Flecken in Kurland 1797 (in der Reihenfolge ihrer Einwohnerzahl lt. Hoheisel, a a. O., Tab. II und III)
- Städte:  Mitau , Libau , Jacobstadt , Goldingen , Windau , Hasenpoth , Bauske , Grogin , Friedrichstadt , Pilten.
- Flecken: Tuckum , Kandau ,Talsen , Durben , Zabeln , Schönberg.

(3) Umfassendere Darstellungen zur deutschbaltischen Kaufmannschaft in Kurland, insbesondere in der
See- und Handelsstadt Libau, wurden von Herbert Becker in folgenden Buchbeiträgen veröffentlicht:

  • Zur Genealogie deutsch-baltischer Kaufmannsfamilien in Kurland (17.-19. Jahrhundert).
    In: Herold-Jahrbuch, N.F. 5 (2000), S. 9-16. > Online-Fassung
     
  • Die Kaufmannsbürger der Großen Gilde zu Libau in Kurland im 18. und frühen 19. Jahrhundert.
    Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der baltischen Ständegesellschaft.
    In: Herold-Jahrbuch, N.F. 10 (2005), S. 9-41. > Online-Fassung
    (Dieser Beitrag enthält u. a. in 7 Anhängen genealogische, wirtschafts- und sozialgeschichliche Daten.)

(4) Libau´s Vergangenheit und Gegenwart. In: Das Inland, Eine Wochenschrift für Liv-, Ehst und Curlands
Geschichte, Geographie, Statistik und Literatur, 1860, Nr. 14, Sp. 275.

        Weiteres : Kurland und die Deutschbalten / Baltendeutschen vor 1914 > dort.

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