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Zur Geschichte von Libau / Kurland bis 1914 (Seite 7)

  Zur Sozialgeschichte Libaus >1< - Teil1

Eine der wichtigsten Unterscheidungen in der abendländischen Stadt der Frühen Neuzeit war die zwischen Einwohnern und Bürgern. Bürger konnten nur diejenigen Einwohner sein, die das Bürgerrecht besaßen. 1684 gab es in Libau bei einer geschätzten Einwohnerzahl von 2500 lediglich 177 Bürger. Somit besaß nur etwa jeder 14. Einwohner das Bürgerrecht.

Die Libauer Bürger waren seit dem 17. Jahrhundert, wahrscheinlich sogar schon früher, in Gilden zusammengeschlossen. Zur “Kleinen Gilde” gehörten die Handwerker, zur “Großen Gilde” vor allem die Kaufmannsbürger.

Erst nachdem der Einfluß der auswärtigen Kaufleute, besonders der Holländer, während des 17. Jahrhunderts überwunden wurde, konnte sich die einheimische Kaufmannschaft, die fast ausschließlich deutscher Herkunft war, entfalten. Das Stadtprivileg von 1625 schuf hierzu gute Voraussetzungen, denn es beschränkte, wie bereits erwähnt, das Recht zum freien Handel auf die Bürger und verbot den unmittelbaren Handel von Fremden mit Fremden.

Nach der Pest von 1710 zogen viele Einwanderer aus Deutschland in das wirtschaftlich aufblühende Libau. Die Kaufleute kamen überwiegend aus Norddeutschland, zunächst aus Lübeck, später in zunehmender Zahl aus dem nahen Ostpreußen. Hingegen waren viele Handwerker aus Sachsen und Thüringen nach Libau zugewandert. >2<

Nicht wenigen Einwanderern aus Deutschland, die oft aus unteren sozialen Schichten stammten, gelang in Libau, besonders durch Einheirat in eine der dort ansässigen Familien, der soziale Aufstieg. So kamen beispielsweise acht Zöglinge des Lübecker Waisenhaues, deren Eltern zu den unteren sozialen Schichten Lübecks gehörten, während der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts nach Libau. >3< Dort wurden sie in Kaufmannsfamilien aufgenommen und ausge- bildet. Später heirateten sie zumeist in eine der Libauer Kaufmannsfamilien ein und wurden selbst zu geachteten Kaufmannsbürgern, denen man oft angesehene städtische Ehrenämter übertrug.

Derartige Beipiele sind bemerkenswert, denn in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit war die soziale Mobilität stark eingeschränkt. Jedoch auch in Libau war ein solcher sozialer Aufstieg nicht selbstverständlich. Die Auswertung einer ziemlich vollständigen Liste von Personen, die zwischen 1787 und 1793 in Libau Kaufgesellen wurden, ergab folgendes: Von insgesamt 108 Kaufgesellen waren etwa zwei Drittel zugewandert, der Rest stammte aus Libau. Von den zugewanderten Kaufgesellen wurden zwischen 1788 und 1800 nur etwa ein Drittel Libauer Kaufmannsbürger. >4<  

Obwohl häufig familiäre Beziehungen zwischen Kaufleuten und Handwerkern bestanden, waren beide Gruppen korporativ und gesellschaftlich getrennt. Die Handwerker verloren das im Stadtprivileg den Bürgern gewährte Recht, “Handel und Wandel zu treiben”, und mußten sich “aller Handlung, Hökerei und was sonst der Kaufmannschaft zugethan ist, gänzlich enthalten”.      >5< So wurde in Libau während des 17. und 18. Jahrhunderts die Kaufmann- schaft immer mehr zu einer priviligierten städtischen Schicht.

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>1<  Zum folgenden vgl. Tabellen (> Übersicht / Links ).

>2<  Zur Herkunft der Libauer Bürger s. Wilhelm Räder, Die Libausche Bürgerschaft im Jahre                1761. In: Baltische Hefte, Jg. 1, H.4, S.53 ff. und Jg. 2, H.1, S. 49 ff.
         Weitere Literatur- und Quellenangaben in: Herbert Becker, Zur Genealogie deutsch-                         baltischer Kaufmannsfamilien in Kurland (17.-19. Jahrhundert). In: Herold-Jahrbuch,
         N.F. 5 (2000), S. 10, Anm. 6.

>3<  S. hierzu Erich Gercken und Arthur Hoheisel, Lübecker in Libau. In: Lübecker Beiträge zur
         Familien- und Wappenkunde, hrsg. vom Arbeitskreis für Familienforschung e. V., Lübeck,
         H. 16, Okt. 1980, S. 5.

>4<  Ausführlichere Darstellung bei Herbert Becker, a.a.O., S. 10 ff.

>5<  Alexander Wegner, a.a.O., S. 71.  

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