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Wappen des Gouvernements Kurland

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Kurland

Die Gliederung der Bevölkerung in Kurland nach Ständen 1854

In Das Inland. Eine Wochenschrift für Liv-, Esth- und Curländische Geschichte, Geographie, Statistik und Litteratur (Jg. 1854, Nr. 19, Sp. 316 f.) wurde für Kurland eine Statistik zur ständischen Gliederung der Bevölkerung zu Anfang des Jahres 1854 veröffentlicht. Die dort angegebenen Zahlen beruhen offensichtlich auf der steuerlichen Erfassung der Bevölkerung im russischen Gouvernement Kurland durch die Seelenrevisionslisten. In Kurland fanden dazu wie in anderen Teilen Russlands eine Reihe von Revisionen statt, darunter waren 1850 die IX. und 1856 die X. Revision. Die Ergebnisse für die Zwischenzeit wurden durch Fortschreibung der Zu- und Abgänge ermittelt. Die nachstehend genannten Zahlen haben somit nicht die Qualität von Volkszählungen. Dementsprechend  sind sie mit Vorsicht zu beurteilen. Dennoch lassen sich aus ihnen, obgleich nur in grober Annäherung, die Größenordnungen der Stände in Kurland erkennen. Hierbei ist außerdem zu beachten, dass die Gliederung nach Ständen gemäß dem russischen Steuer- und Ständerecht erfolgte, was zum Beispiel für die Begriffe Gilde, persönlicher Adel, und Ehrenbürger gilt. Trotz der genannten Einschränkungen darf wohl angenommen werden, dass die folgende, durch Anmer- kungen ergänzte Statistik aus Das Inland für die Beurteilung der Sozialgeschichte Kurlands unter russischer Herrschaft von Interesse ist:

Die Bevölkerung (Personenzahl) in Kurland am Anfang 1854

    I.   Steuerpflichtige Stände

            a. Kaufleute christlicher Konfession                  -    1.009
                  davon
                  I.   Gilde -     8 Fam.Cap. (1)
                  II.      “   -   25       “
                  III.     “   - 130       “
            b. Hebräische Kaufleute                                     -    2.768
                  davon                     
                  II.  Gilde -    6  Fam.Cap.
                  III.    “    - 271        “
            c. Zünftige Handwerker                                     -   17.114 
            d. Bürger, andere Okladisten und zu
                Stadtgütern verzeichnete Bauern                   -   43.903
            e. Hebräer                                                           -   23.361
            f. Kronsbauern auf dem Lande                           - 156.396
            g. Privatbauern   “   “       “                                 - 292.850

    II.  Zeitweile Steuerfreie                                  -       573

    III. Völlig steuerfreie Stände

            a. Erblicher Adel                                                 -    1.481
                   darunter v. kurländ. Indig. Adel    -  799 (2)
            b. Persönlicher Adel                                            -      308 (3)
            c. Geistlichkeit                                                     -      357
                    griech.-russ.                                  -    47
                    ev.-luth. u. reform.                        -  276
                    röm.-kathol.                                  -    34         
            d. Exemten,                                                          -   1.888
                davon
                  1. nichtadlige Kronbeamten            -    480
                  2. Offizierskinder                            -    138
                  3. Gelehrte, Ärzte usw.                    - 1.087
                  4. Erbliche Ehrenbürger                   -    165
                  5. Persönl. Ehrenbürger                   -      18                    
             e. Freisassen, sog. kurische Könige                       -    186
             f. Ausländer                                                            -    889

Insgesamt                                                          - 543.083
    (davon 516.654 Christen und 26.129 Hebräer).


Bezeichnet man die Exemten (1.888 Pers.) und die vermögenden Kaufleute (I. und II. Gilde) als soziale Oberschicht und setzt deren Zahl  in Beziehung zur Gesamtzahl der Bevölkerung, dann wird trotz aller Mängel der obigen Statistik deutlich, wie klein (weniger als 1%) diese in Kurland herrschende Schicht um die Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen war. Hierbei wird bereits aus dem im Mitauschen Taschenkalender für 1846 enthaltenen Verzeichnis der  Ämter und Namen von Personen, die im öffentlichen Leben Kurlands besondere Bedeutung hatten, ersichtlich, dass der weitaus überwiegende Teil der sozialen Oberschicht  aus Deutschbalten bestand.(4) Erst in den folgenden Jahrzehnten verminderte sich nach und nach deren Dominanz in der Wirtschaft und Gesellschaft Kurlands. Es war nicht allein die seit den 80´er Jahren des 19. Jahrhunderts verstärkt ein- setzende sog. “Russifizierung” und die zunehmende Emanzipation der lettischen Bevölkerung, sondern vor allem die als Ergebnis des 1. Weltkrieges folgende Unabhängigkeit Lettlands, welche die deutsch- baltische Vorherrschaft auch in Kurland radikal beendete. 

Anmerkungen

(1) “Fam.Cap.” gemeint ist wohl die Anzahl der Familienoberhäupter.

(2) ”Indig. Adel”: Nach dem Ständerecht wurde der Adel in den russischen  Ostseegouvernements unterteilt in den "Stammadel" (Indigenatsadel, d. h. den in die örtliche Matrikel aufgenommenen) und den nicht immatrikulierten Adel.  Letzterer war,  soweit er Rittergüter besaß, zwar landtagsfähig, durfte aber nicht in die Repräsentationsämter der Ritterschaft gewählt werden und nicht an der Wahl teilnehmen, wohl aber an den übrigen Wahlen und Beschlüssen. S. Baltisches Rechtswörterbuch, Stichwort Adel ( > online , Stand: 01.01.2015).
 
(3) Abgesehen von der Verleihung eines Ordens oder bei Frauen der Eheschließung konnte der persönl. Adel nur durch den Beamten- oder Militärdienst erworben werden. Seit 1845 musste im Zivildienst dazu mindestens der Rang eines Titularrats erreicht sein. Weiteres hierzu und auch zum Stand der Ehrenbürger s. Christoph Schmidt, Ständerecht und Standeswechsel in Rußland 1851-1897, Wiesbaden 1994 sowie  im Lexikon der Geschichte Rußlands. Hrsg. von Hans-Joachim Torke, München 1985, Stichwörter Ehrenbürger und Rangtabelle.

(4) Laut Volkszählung 1863 betrug der Anteil der Lettisch Redenden 79,49 %, der Deutsch Redenden 13,56% der Gesamtbevölkerung Kurlands (574.036 Pers.). Von den Deutsch Redenden (77.840 Pers.) waren 44.133 christl. und 33.707 Personen jüd. Konfession. (Aus: Kurländisches Statistisches Jahrbuch. 1869. Mitau, S. 15.) Die Unterscheidung der Personen mit deutscher Umgangssprache nach christlicher und jüdischer Konfession war bedeutsam, weil Glaubensjuden nach dem auch in Kurland damals geltenden russischen Recht erheblich diskriminiert wurden.

Der sozialen Oberschicht, wie sie oben definiert wurde, gehörten in Kurland maximal etwa 2.000 Personen an. Hingegen betrug die Zahl derjenigen, die Deutsch als Umgangssprache angaben und christlichen Glaubens waren, etwa 44.000 Personen. Somit sind von ihnen kaum mehr als 5% der Oberschicht zuzuordnen. Deshalb ist anzunehmen, dass um die Mitte des 19. Jahrhunderts über 90% der Deutschbalten nicht zu der in Kurland herrschenden Oberschicht gehörten. Dementsprechend gilt die Aussage, die “Deutschen” wären herrschend in Kurland gewesen, nur für einen sehr kleinen Teil von ihnen.

> Die Deutschbalten in den russischen Ostseeprovinzen Kurland , Livland und Estland 1897

> Die Deutschbalten und die Stände in Kurland laut Volkszählung 1897

H.B.

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